Berlins Weg in die Moderne. Eine Stadt am Schnittpunkt kolonialer Warenströme und Sehnsüchte (1763–1918)

Berlins Weg in die Moderne. Eine Stadt am Schnittpunkt kolonialer Warenströme und Sehnsüchte (1763–1918)

Organisatoren
Historische Kommission zu Berlin; Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) (Felix Töppel / Lilja-Rueben Vowe / Klaus Weber, Samuel Eleazar Wendt, Frankfurt an der Oder; Ellen Franke, Berlin)
Ausrichter
Felix Töppel / Lilja-Rueben Vowe / Klaus Weber, Samuel Eleazar Wendt, Frankfurt an der Oder; Ellen Franke, Berlin
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
28.09.2023 - 29.09.2023
Von
Adrian Robanus, Kleist-Museum Frankfurt an der Oder

Neueste Forschungen zur Kolonialgeschichte zeigen, wie fundamental globalgeschichtliche koloniale Verflechtungen zur ‚Moderne‘ gehören. Die elfte Tagung des Netzwerkes HiKo_21 beleuchtete Berliner Geschichte vom 18. bis zum 20. Jahrhundert explizit aus der Perspektive kolonialgeschichtlicher Fragestellungen. Dieser bislang wenig untersuchte Forschungskomplex wurde in der Tagung durch wirtschafts-, wissens-, kunst- und museumsgeschichtliche Ansätze erhellt. Eine Podiumsdiskussion zum heutigen Umgang mit der kolonialen Vergangenheit Berlins erweiterte den geschichtswissenschaftlichen Fokus.

Ulrike Höroldt und Klaus Weber postulierten in ihrer Einleitung, dass Moderne und Kolonialismus als zwei Seiten einer Medaille zu verstehen seien. Als wesentliches Erkenntnisinteresse der Tagung wurden materielle und immaterielle Verflechtungen Berliner und kolonialer Räume vom späten 18. bis ins frühe 20. Jahrhundert benannt. Die zunehmende Erschwinglichkeit kolonialer Waren für breitere Schichten ging einher mit der Forcierung exotisierender Imaginationen, was den Zusammenhang wirtschaftlicher und kultureller Interessen verdeutliche. Mit der kolonialen Vergangenheit sei die gegenwärtige gesellschaftliche Verantwortung Berlins, insbesondere in Museen, verbunden: Wie kann eine kritische Aufarbeitung stattfinden und die dominante eurozentrische Perspektive transformiert werden? Wie geht man mit dem belasteten Erbe (Sammlungen, Straßennamen, Denkmäler) um? Hier wurde für eine multiperspektivische Herangehensweise plädiert, die auch die Frage nach der aktuellen Erinnerungspolitik mit einbezieht.

ALBERT GOUAFFO (Dschang) skizzierte folgende Tendenzen als Rahmen der Tagung: Afrika wurde insbesondere ab dem 17. Jahrhundert als Reservoir für Rohstoffe genutzt; die menschenverachtenden Praktiken des transatlantischen Sklavenhandels machen in der Rückschau die Doppelmoral der europäischen Aufklärung deutlich. Ende des 19. Jahrhunderts waren weitere Rohstoffe und Absatzmärkte nötig; Berlin stand als Metropole des Kolonialismus im Zentrum. Diskursiv wurden trotz der massiven kolonialen Gewalt die Europäer zu weißen Rettern aufgewertet und die Afrikaner als scheinbar zivilisatorisch zurückgeblieben abgewertet. Residuen dieser Zeit findet man allenthalben in Berlin. Methodisch setzte Guaffo sich für literarische Texte als geschichtswissenschaftliche Quellen ein, in denen koloniale Praktiken bewusst oder unbewusst oft sehr akkurat dargestellt würden.

Im ersten Panel standen koloniale Netzwerke der Frühmoderne im Fokus. JUTTA WIMMLER (Bonn) präsentierte eine komplexe Verflechtungsgeschichte: Für die bunten Farben preußischer Uniformen (blau, rot, gelb) war ein überseeisches Handelsnetzwerk nötig, das die materielle Basis für die Ausstattung des Militärs ermöglichte. Qualitativ hochwertige und kostengünstige Farbstoffe wurden insbesondere über Indigoplantagen auf den karibischen Inseln gewonnen. Anhand der Lieferketten des königlichen Lagerhauses Berlin demonstrierte Wimmler die wirtschaftspolitischen Verflechtungen, die mit dem Überseehandel einhergingen.

SOPHIA SPIELMANN (Berlin) widmete sich dem exemplarischen Beispiel Carl Ludwig Willdenows, der als Direktor des Königlichen Botanischen Gartens und erster ordentliche Professor der Botanik an der Humboldt-Universität über ein globales botanisches Korrespondenznetzwerk verfügte, das auf den vorhandenen kolonialen Infrastrukturen beruhte. Anhand von Willdenows ablehnender Haltung zu fremdländischen Pflanzen wurde deutlich, dass auch in der Botanik die Ablehnung des Fremden zugunsten des Einheimischen als Haltung das Handeln bestimmte. Die Dichotomie von ‚einheimisch’ und ‚fremd’ erwies sich aber für den botanischen Garten als praxisfernes Konstrukt.

THOMAS WEIßBRICH (Berlin) zeichnete die Geschichte der Schwarzen Musiker in der preußischen Armee nach. Aus britischem und niederländischem Sklavenhandel nach Preußen gekommen, waren sie fest ins höfische Leben eingebunden; die von ihnen gespielte sogenannte Janitscharenmusik war von der osmanischen Armee adaptiert. Diese Musikerstellen wurden immer wieder nachbesetzt, die Uniform der Musiker spielte dabei eine besondere Rolle. Solche Traditionen wurden im kolonialen Kaiserreich mythisiert und fortgesetzt. Die Geschichten einzelner Schwarzer Militärmusiker, etwa des Kesselpaukers Arara, machten deutlich: Ohne autobiografische Quellen bleibt es methodisch schwierig, die Perspektive zu wechseln und nachzuvollziehen, wie die Militärmusiker ihre besondere Stellung bewerteten. Eine Umkehrung der dargestellten Praxis nahm Sultan Ibrahim Njoya, der König von Bamum, auf afrikanischer Seite vor: Dieser adaptierte seine eigene Kürassier-Uniform. Die Übernahme des europäischen Zeichensystem der Uniformen diente ihm zur Durchsetzung eigener Herrschaftsinteressen.

Im Kommentar merkte SVEN TRAKULHUN (Hamburg) kritisch an, dass mit dem Tagungstitel „Berlins Weg in die Moderne“ schon eine fragwürdige Teleologie der Moderne angedeutet werde. Gemäß dem sehr eurozentrischen Modernebegriff würden alle außereuropäischen Räume als Nachzügler Europas gedacht, was als Zivilisierungsnarrativ kritikwürdig sei. Die Rolle des Anderswo für die europäische Moderne gerate so leicht aus dem Blick. Ein wichtiges Ergebnis der anschließenden Diskussion war, dass man sehr genau zwischen der repräsentativen Funktionalisierung Schwarzer Menschen an Höfen der frühen Neuzeit und den späteren Projektionen des Kaiserreiches unterscheiden müsse.

Das zweite Panel konzentrierte sich auf die kolonialen Warenströme, die durch Berlin flossen. TRISTAN OESTERMANN (Berlin) arbeitete heraus, wie Kolonialunternehmen aus Berlin in Kamerun agierten. Regionen wie Adamaua wurden zu faszinierenden Projektionsflächen der Imaginationskraft, die aber unrentabel blieben. Außerdem wurden von einigen Akteuren die Gelder der Investoren veruntreut. Es handelte sich fast ausschließlich um Aktiengesellschaften, die ohne genaue Kenntnis Kameruns mit ihrer Politik dennoch einen großen – meist negativen – Einfluss auf das Leben vieler Afrikaner hatten.

MONA RUDOLPH (Kiel) stellte den Berliner Diamantenhandel Anfang des 20. Jahrhunderts als Beispiel für ökonomische Prozesse der Globalisierung dar. Da Deutsch-Südwestafrika hohe finanzielle Verluste verursachte, lag ein großer wirtschaftlicher Erfolgsdruck auf der Kolonie. Die Rohdiamanten konnten nicht im Kaiserreich verarbeitet werden, weil hierfür die nötige Infrastruktur fehlte. Die Nachfrage blieb bis zum ersten Weltkrieg zögerlich und erst während der Kriegszeit entwickelte sich in den USA ein breiter Absatzmarkt. Deutlich wurde, dass entgegen kursierender Annahmen zumindest im Diamantenhandel kein Deglobalisierungsschub nach 1914 zu beobachten ist, sondern im Gegenteil intensive ökonomische Verflechtungen entstanden.

VERA-FELICITAS MAYER (Berlin) stellte am Beispiel der Gewürznelke dar, wie die EDEKA-Gründung in Berlin mit Sansibar als Projektionsort zusammenhängt. EDEKA hatte sich vom ersten genossenschaftlichen Zusammenschluss in der Einzelhandelsbranche Anfang des 20. Jahrhunderts zur mächtigsten kaufmännischen Genossenschaft Europas entwickelt.

Im Kommentar von FELIX BRAHM (Münster) wurde deutlich: Fantasien und Wunschdenken waren zentral für das koloniale wirtschaftspolitische Handeln – mit oft verheerenden Konsequenzen für die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen in den Kolonien. Brahm unterstrich: Berlin müsse als spezifischer Ort der Recodierung und Monopolisierung kolonialer Wirtschaftsbeziehungen in den Blick genommen werden.

Die abendliche Podiumsdiskussion öffnete die historischen Fragestellungen in die Gegenwart: Das Gespräch von IBOU DIOP (Berlin), Albert Gouaffo, JAN HÜSGEN (Magdeburg) und FRAUKE MIERA (Berlin) kreiste um Berlin als postkolonialem Erinnerungsort. Symptomatisch für viele Institutionen stehe die Erarbeitung einer dekolonialen Museumsarbeit erst am Anfang. Gouaffo stellte heraus, dass es eine gemeinsame Trauerarbeit brauche, um zum Bewusstsein einer geteilten Geschichte zu kommen und einseitige Narrative hinter sich zu lassen. Hüsgen skizzierte, dass in den Bereichen der Provenienzforschung, der Sammlungspraxis und der Ausstellungstätigkeit eine Aufarbeitung des Kolonialismus angestrebt werde. Doch wie Miera herausstellte: Erinnerungskultur, Wissensproduktion und Wissensvermittlung stünden in einem langen kolonialen Kontext und die Transformation dieser Praktiken brauche die Bereitschaft zur Selbstreflexion. Diop betonte: Die Kolonialgeschichte Berlins fehle noch nahezu komplett im schulischen Curriculum. Guaffo hob hervor, dass 70% der Kulturgüter Kameruns sich in Deutschland befinden. Kulturgüter waren zerstört oder nach Deutschland gebracht worden, die meisten heutigen Kameruner bekommen kein Visum, um sie zu sehen. Diese Situation müsse sich ändern, darüber brauche es eine neue Sprache, die ganz von der Reproduktion rassistischer Wörter absieht.

Wissensproduktion und Kolonialpolitik in Berlin standen im Fokus des dritten Panels. CHRISTIAN DIETRICH (Halle (Saale)) trug zur Komplexität politischer Verortung in Deutschland im Verhältnis zur Kolonialpolitik anhand des Dampfersubventionsstreits Mitte der 1880er Jahre vor. Insgesamt zeigte sich, dass für die Sozialdemokraten die Kolonien keine Sehnsuchtsorte waren, dass die Dampfersubventionsdebatte partiell losgelöst von der Kolonialpolitik betrachtet wurde und die Kolonisierten selten in der sozialdemokratischen Berichterstattung vorkamen.

SAIMAITI MAIMAITIMING (Frankfurt (Oder)) zeichnete das Studium chinesischer und osmanischer Intellektuellen in Berlin als transnationale Transfergeschichte nach: Ziel war die reaktionäre Modernisierung Chinas und des Osmanischen Reiches durch Wissenstransfer aus dem Deutschen Reich, das in vielerlei Hinsicht als vorbildlich gesehen wurde.

Im Kommentar betonte MARIA RHODE (Göttingen) anschließend an Trakulhun, dass der implizit vorausgesetzte ‚Weg in die Moderne‘ unbedingt reflektiert werden müsse. Außerdem gebe es sehr viele Parallelen der preußischen Polenpolitik zur Strategie der Kolonialmächte bis hinein in die Stereotypisierung der Bevölkerung. In der Diskussion wurde erneut deutlich, dass der Begriff der Modernisierung sehr eurozentrisch ist und möglichst ohne normative Konnotationen verwendet werden sollte.

Im vierten Panel standen Sehnsüchte und Fremdprojektionen im Vordergrund. DANIEL JANKOWSKI (Braunschweig) arbeitete die Bildpolitik auf Postkarten der Ersten Deutschen Kolonial-Ausstellung 1896 in Berlin heraus. Der Ikonisierungsprozess diene dazu, die kolonialen Sehnsüchte zu konkretisieren und greifbar zu machen. So würden die unausgeschöpften Möglichkeiten des deutschen Reiches als Kolonialstaat visualisiert.

ANNE PEITER (La Réunion) konzentrierte sich auf die Darstellung von afrikanischen Trägern und ihren Berliner Auftraggebern in der Kolonialfotografie. Flussüberquerungen als Symbole des Warenverkehrs und der Exploration waren hier ein gängiges, vielfach genutztes Motiv. Weitere Bildmotive wiederholen sich immer wieder: Kolonialherren werden getragen, durch Koffern, Kisten und Ballen werden Objekte kolonialer Sehnsüchte gezeigt; darüber hinaus erscheinen als Ikonen einer neuen Warenwelt Kaffee, Tee und Schokolade. Oft wurden Schwarze Frauen auf Bildern einem Voyeurismus ausgesetzt, der konsumerische und sexuelle Sehnsüchte anspricht.

LEO RYCZKO (Berlin) arbeitete die kolonialen Sehnsüchte männerbegehrender Männer in ‚Der Eigene’ heraus. Auch dort wurden gängige Stereotype reproduziert, etwa die Darstellung Schwarzer Menschen als naiv und arbeitsscheu. In ‚Der Eigene‘ ist aber auch die Vorstellung einer Welt der Männerbünde in afrikanischen Gesellschaftsordnungen zu finden: Kolonien wurden zu imaginären Freiräumen mit der Chance auf Neuanfang und Straffreiheit für männerbegehrende Männer erhoben. Insgesamt, so Ryczkos Fazit, stand in der Zeitschrift die Stabilisierung der rassistisch kolonialen Weltordnung im Vordergrund.

DÖRTE LERP (Berlin) arbeitete in ihrem Kommentar größere bildpolitische Zusammenhänge heraus, die sich in den Vorträgen andeuteten: Medien wirkten im Verbund, in der Gesamtheit und ermöglichten durch Wiedererkennen bestimmter Motive die Einbindung vieler Menschen in das koloniale Projekt. Lerp ermunterte dazu, Quellen gegen den Strich lesen und damit die Ambivalenzen hinter den kolonialpolitischen Intentionen wahrzunehmen. Ein Beispiel für solche Störmomente seien die Fotos des Tragens von Kolonisatoren: Einerseits zeige sich hier Dominanz, andererseits aber Abhängigkeit und körperliche Intimität. Momente der Subversion der kolonialen Ordnung müssten klar herausgearbeitet werden.

Im letzten Panel trat Berlin als Zentrum musealer Sammlung in den Vordergrund. SYLVAIN MBOHOU (Maranhão) arbeitete den Zusammenhang zwischen der Mobilisierung von Sklavenarbeit und dem Sammeln von Kunstwerken im Ethnologischen Museum Berlin während der Zeit der Kolonialherrschaft über Kamerun heraus. Der juristischen und territorialen Annexion Kameruns folgte die kontinuierliche Ausweitung der Grenzen und die erzwungene Mobilisierung lokaler Bevölkerung etwa für Eisenbahnbau. In diesem Zusammenhang steht der Fall des königlichen Thrones des Bamum-Königreiches. Es handele sich um ein erzwungenes Geschenk als Zeichen asymmetrischer Macht.

RICHARD TSOGANG FOSSI (Berlin) stellte die Rolle von Missionaren in Kamerun dar. Deutlich wurde, dass die etwa 40.000 erbeuteten Objekte ebenso wie etwa 400 sogenannte menschliche Überreste auch durch Missionare nach Berlin gelangten. Kulturgüter, etwa Fetische, Zauberstücke, Dämonendarsteller wurden durch eine willkürliche Taxonomie degradiert, schonungslos zerstört oder voyeuristisch ausgestellt. Fossi kam anhand solcher Beispiele zu dem Schluss: Missionarische Kulturgutverlagerung war ebenso gewaltsam wie die militärische.

KLAUS WEBER (Frankfurt (Oder)) präsentierte abschließend kondensiert Leitlinien einer globalen Wirtschaftsgeschichte, die insbesondere asynchrone Entwicklungen berücksichtigt. Ein Beispiel für komplexe Zusammenhänge war die Unterwerfung der beiden Amerikas, durch die Silber aus Peru und Mexiko nach Europa gebracht wurde. Das war die Voraussetzung dafür, dass die Ostindienkompanien große Mengen asiatischer Waren einkauften. Dies wiederum ermöglichte die Konsumrevolution im 18. Jahrhundert in den Niederlanden und in England. Indien wurde vom Exporteur zum Importeur von Fertigwaren und stellte nur noch Rohstoffe her. Weber stellte die Verwobenheit der Waren dar, die auf der Seite des Konsums ein kulturelles Konglomerat bilden: „Schnittpunkt kolonialer Warenströme und Sehnsüchte“, wie es im Tagungsuntertitel heißt.

Zum Abschluss der Tagung wurde Lydia Bucher mit dem Nachwuchspreis der HiKo_21 ausgezeichnet. In ihrem Kurzvortrag arbeitete sie die rassifizierende Bildpolitik der im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert populären anthropologischen Publikation „Das Weib in der Natur und Völkerkunde. Anthropologische Studien“ heraus.

‚Berlins Weg in die Moderne. Eine Stadt am Schnittpunkt kolonialer Warenströme und Sehnsüchte’ erschloss das vielschichtige Feld Berliner Kolonialgeschichte über historische Detailstudien. Durch die Kommentare wurde der rote Faden sehr deutlich erkennbar, der die heterogenen Einzelthemen durchzog. Die Kommentare boten auch Gelegenheit, die methodischen und ethischen Fragen zu diskutieren, die mit der Erforschung von Kolonialgeschichte einhergehen. Der Bezug zum heutigen Umgang mit der kolonialen Vergangenheit Berlins ergab sich an zahlreichen Stellen. Insofern war es eine gute Entscheidung der Veranstalter, am ersten Tagungsabend eine Podiumsdiskussion anzusetzen, die sich explizit dem Gegenwartsbezug widmete. Die Multiperspektivität der Tagung spiegelte sich zudem in der Zusammensetzung der Teilnehmer wieder, die sowohl arrivierten Forschern als auch Nachwuchswissenschaftlern den Raum bot, ihre Arbeiten zu präsentieren. Mit Alberto Gouaffo war zudem ein renommierter Vertreter der kamerunischen Geschichtswissenschaft präsent, wodurch der globalgeschichtliche Charakter der Konferenz unterstrichen wurde.

In den Diskussionen waren immer wieder methodische Fragen der Stadtgeschichtsschreibung aufgeworfen worden, die für die weitere Erforschung der Berliner Stadtgeschichte unter kolonialgeschichtlicher Perspektive sicherlich eine Herausforderung bleiben werden: Wie verbindet man das Lokale und das Globale? Wie bezieht man die Konsequenzen des kolonialen Handelns für die Menschen der kolonisierten Länder in die Stadtgeschichte mit ein? Wie vermeidet man es, dominante Herrschaftsnarrative zu reproduzieren? Ein Tagungsband befindet sich in der Planung: Man darf sich darauf freuen, in ihm ausführliche und differenzierte Antworten auf viele dieser Fragen zu ‚Berlins Weg in die Moderne‘ zu finden.

Konferenzübersicht:

Keynote Lecture

Albert Gouaffo (Dschang): Berlin, eine Reichshauptstadt und koloniale Metropole. Akteure, Medien und Selbstdarstellungsmuster 1683–1918

Panel 1: Berlin in kolonialen Netzwerken der Frühmoderne

Jutta Wimmler (Bonn): Von Yucatán nach Berlin. Preußische Wirtschaftspolitik aus der Perspektive des Farbstoffhandels, circa 1720–1764

Sophia Spielmann Lic. (Berlin): „Lokalflora“ und „exotische Gewächse“. Carl Ludwig Willdenow und der Königliche Botanische Garten Berlin-Schöneberg zu Beginn des 19. Jahrhunderts

Thomas Weißbrich (Berlin): Mit Pickelhaube und Marschmusik. Afrikanische Musiker in der königlich-preußischen Armee, 1713–1918

Sven Trakulhun (Hamburg): Kommentar

Panel 2: Berlin im Schnittpunkt kolonialer Warenströme

Tristan Oestermann (Berlin): Koloniale Fantasien und koloniale Geschäfte. Berliner Kolonialunternehmen in Kamerun, 1884–1914

Mona Rudolph (Kiel): Brillante Metropole? Wirtschaftliche Globalisierungsprozesse, Akteure und Sehnsüchte am Beispiel des Diamantenhandels in Berlin, 1908–1918

Vera-Felicitas Mayer (Berlin): Sansibar als Sehnsuchtsort Berliner Gelüste. EDEKA-Gründung und Relevanz des Handelsimports aus Deutsch-Ostafrika

Felix Brahm (Münster): Kommentar

Podiumsdiskussion Umstrittenes Erbe – Orte, Strategien und Herausforderungen (post-)kolonialer Erinnerungsarbeit in Berlin
Moderation: Lilja-Ruben Vowe (Berlin)

Teilnehmer:innen: Ibou Diop (Berlin) / Albert Gouaffo (Dschang) / Jan Hüsgen (Magdeburg) / Frauke Miera (Berlin)

Panel 3: Berlin als Ort der Kolonialpolitik und Wissensproduktion

Christian Dietrich (Halle an der Saale): „Vom Wehen der Postflagge“ – Das Berliner Volksblatt positioniert sich im Dampfersubventionsstreit 1884/85

Saimaiti Maimaitiming (Frankfurt an der Oder): Chinese and Ottoman Intellectuals in Wilhelmine Berlin

Maria Rhode (Göttingen): Kommentar

Panel 4: Berliner Sehnsüchte und die Bilder der „Anderen“

Daniel Jankowski (Braunschweig): Chromatografische Kulissen. Bildpostkarten der Ersten Deutschen Kolonial-Ausstellung 1896 in Berlin

Anne Peiter (La Réunion): Sehnsuchtswaren aus der Kiste. Zur Darstellung von afrikanischen Trägerkarawanen und ihren Berliner Auftraggebern in der Kolonialfotografie

Leo Ryczko (Berlin): Koloniale Sehnsüchte männerbegehrender Männer in Der Eigene – erste „schwule“ Zeitschrift der Welt

Dörte Lerp (Berlin): Kommentar

Panel 5: Berlin als Zentrum musealer Sammlung: Kulturgüter, Mission und „Beutekunst“

Sylvain Mbohou (Maranhão): The Mobilization of Slave Labor and the Collection of Art Works Held at Ethnologisches Museum Berlin. Two Aspects of Exploitation under the German Protectorate in Kamerun (1884–1916)

Richard Tsogang Fossi (Berlin):(Zwischen) Missionierung und Kolonialhandel – Der Beitrag von Missionar:innen zur Kolonialmetropole

Zusammenfassung

Klaus Weber (Frankfurt an der Oder): Zusammenfassung

Vortrag der HiKo_21-Preisträgerin

Lydia Bucher (Jena): Die „Stadt […], in der von aller Welt Enden die Fäden zusammenlaufen“. Netzwerke Berliner Lehnstuhlanthropologen um 1900